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Algerien, (wieder) eine Reise wert!

 

Die Flugtickets liegen bereit, die Visavermerke kleben in den Pässen aber noch kann ich es nicht recht glauben, dass ich nun endlich nach Algerien reisen werde.

Algerien – ein Name beflügelt die Phantasie. Ein nordafrikanisches Land, das 10 Jahre Bürgerkrieg mit über 100.000 Toten erleiden musste, mit immer wieder kehrenden, verheerenden Erdbeben, oder denkt man eher an abenteuerliche Wüstentouren, die gelegentlich auch mit einer Entführung enden können, oder sind es die Gemälde der französischen Maler aus dem 19. Jahrhundert, mit Darstellungen aus den orientalischen Souks oder westlicher Haremsfantasien von Sklavinnen, die sich lasziv auf seidenen Kissen räkeln?

Irgendwie kommen mir all diese Bilder in den Sinn.

In all den Jahren meiner Ehe hat das Thema Algerien eine zentrale Rolle in meinem Leben gespielt, ohne dass ich das Land je zu Gesicht bekommen habe. Und nun ist es soweit und ich kann eine gewisse Aufregung nicht verbergen.

Nach dem die westlichen Fluggesellschaften aufgrund der Sicherheitslage ihren Flugbetrieb nach Algerien weitgehend eingestellt hatten, fliegt nun die Lufthansa wieder 5 mal pro Woche Frankfurt – Algier bzw. München Algier.

Und so sitze ich - mit Schmetterlingen im Bauch in der LH-Maschine Richtung Algier. Meine 5-jährige Tochter erklärt mir ausführlich das Start- und Landeverhalten des Flugzeuges, aber als sie wissen möchte, wie ein Absturz vonstatten geht, vertröste ich sie mit den Erklärungen lieber, bis wir wieder festen Boden unter den Füßen haben.

Wir kommen nachts in Algier an. Es ist etwas schwül aber nicht so heiß wie ich dachte. Vom Meer her weht ein frischer Wind, der die Stimmen der lärmenden Stadt zu mir hoch trägt, wo sie sich in meine Träume einschleichen.

Geweckt werde ich vom Gebetsruf. Jeder stimmt, von allen Richtungen der Stadt, auf seine ganz besondere Art und Weise in den Kanon ein, der sich zu einem Gesamtkunstwerk vereinigt und sich wie eine Decke, gewoben aus vokalen Fäden des Gotteslobes über die schlafende Stadt senkt. Mit den Worten „as-salatu chairun mina n-naum" – „Das Gebet ist wertvoller als der Schlaf" versucht der Muezzin die Gläubigen vor Sonnenaufgang zum Verrichten des Morgengebets zu animieren. Und wirklich, auf eine derart kunstvolle Weise geweckt zu werden, motiviert wesentlich mehr, als jede made-in-China-Azan-Uhr mit ihrem ewig gleichen Singsang!

Die Familie versorgt uns mit kulinarischen Meisterleistungen, mit jeder Mahlzeit fällt die schwere Entscheidung, dem 3. Nachschlag oder der – zugegeben paranoiden - Angst vor der Waage nachzugeben.

Algier ist eine Millionenstadt mit dem für orientalische Millionenstädte üblichen Verkehrschaos.

Was mir hier besonders auffällt: Viele Frauen tragen noch den kleinen, aparten, mit Spitzen besetzten Gesichtsschleier, der glücklicherweise (noch) nicht von dem alles erdrückenden schwarzen Einheits-Niqab verdrängt wurde!

Und obwohl ich bestimmt keine Verfechterin der Verschleierung bin, liebe ich die Art und Weise, mit welcher die derart traditionell verschleierten algerischen Frauen subtil und souverän ihre Weiblichkeit betonen anstatt sie zu verdrängen.

 

Überhaupt das Thema Kleidung, das bei Muslimen (leider) eine ziemlich große Rolle spielt: In den Städten Algeriens hatte ich das Gefühl, dass die Menschen ihre Oberflächlichkeit abgelegt zu haben scheinen – man wird respektvoll behandelt, egal ob als voll verschleierte Frau oder eher europäisch freizügig, ob als glatt rasierter Krawattenträger oder vollbärtiger Mann in Abaya. Irgendwie scheint die Tatsache, dass die Frömmigkeit nicht an der Kleidung festzumachen ist, bzw. dass wir Menschen uns nicht zum Richter über Glauben oder Nichtglauben anderer Menschen machen dürfen, endlich in den Köpfen angekommen zu sein. Darauf – und nur darauf kann dauerhafter Frieden im Land gründen!

Wir schlendern durch die Souks auf der Jagd nach Schnäppchen, machen einen Bummel durch das komfortable Einkaufszentrum das unter dem Märtyrerdenkmal gelegen ist, und erfrischen uns zwischendurch mit starkem Kaffee oder Thé à la Menthe.

Und immer wieder bin ich versucht, eine der vielen spindeldürren, kleinen Straßenkatzen, die mich mit großen hungrigen Augen vorwurfsvoll anschauen, zu adoptieren!

Um einen Badeausflug ans Meer zu machen muss man einige Kilometer außerhalb Algier nehmen. Entweder Richtung Osten, nach Boumerdes oder Richtung Westen nach Zeralda, einem bekannten Badeort mit vielen Hotels und Ferienwohnungen und, für meinen Geschmack etwas zuviel, Touristenrummel. Aber das Meer ist dort relativ sauber – was man leider nicht überall findet, und hat einen sehr flachen Sandstrand, der vor allem für Kinder ideal ist.

Tipaza, ca 70 km westlich von Algier gehört zum Unesco-Weltkulturerbe. Dort befindet sich das Mausoleum Juba II, des Numidierkönigs, der vom römischen Kaiser Augustus zum Herrscher über das Königreich Mauretanien, das westliche Nordafrika, eingesetzt wurde.

Cherchell ist ebenfalls eine kleine Hafenstadt, in der erhalten gebliebene Ruinen aus der Zeit Jubas II. zu sehen sind. Außerdem gibt es ein kleines Fischrestaurant mit einem Wirt, der aussieht, als wäre er geradewegs einem Asterixheft entstiegen. „Verleihnix" wie wir ihn insgeheim nennen serviert eine köstliche Fischsuppe. Wir spazieren die Küstenpromenade entlang und durch einen kleinen Park, der mit knorrigen Korkeichen und Resten römischer Säulen bestückt ist. Vor Einbruch der Dunkelheit geht es wieder zurück nach Algier.

Mich von Schwiegermamas Couscous-Topf loszureißen fällt schwer, aber schließlich wollen wir ja das Land erkunden. Der Mietwagen steht vor der Tür, zum Glück mit Klimaanlage, und so geht es in aller Frühe nach dem Morgengebet los.

Unser erstes Ziel heißt Batna, eine 320.000 Einwohner zählende Stadt im Aurès Gebirge. Wir erreichen die Stadt, die auf fast 1000 m Höhe liegt nachmittags und nehmen unseren Tee in einem der zahlreichen kleinen Straßencafés der Stadt, direkt gegenüber der großen, neu gebauten Moschee.

 

Als der Ruf zum Asr-Gebet ertönt, freue ich mich darauf mein Gebet in einer „richtigen" Moschee verrichten zu können. Im kleinen schmucklosen Frauengebetsraum frage ich nach den Waschräumen für die Frauen. Ich muss fast ganz um die große Moschee herumlaufen, um zu entdecken, dass der Waschraum, der an einen Geräteschuppen erinnert, abgeschlossen ist. Ich frage die beiden Frauen, die zufällig vorbeikommen, ob dies die Wudu-Räume seien. Sie nicken und beim Hinweis, "verschlossen" zucken sie resigniert die Schultern. Nun kann ich meine Enttäuschung nicht mehr verbergen. In perfektem Kauderwelsch beschwere ich mich, dass ich nun ein paar Tausend Kilometer aus Deutschland angereist wäre, um festzustellen, dass es in dieser riesigen neuen Moschee für Frauen nicht mal eine Möglichkeit zu beten gäbe. Ich füge hinzu, dass der Prophet (sas) geboten habe, die Frauen nicht am Moscheebesuch zu hindern. Die ältere der beiden nickt betroffen.

Ich verlasse die Moschee, ohne gebetet zu haben und spiele mich mit dem Gedanken, eine Revolution gegen das Patriarchat anzuzetteln. Mein Mann beschwichtigt mich, selbst der Islam habe die patriarchalischen Strukturen nicht aufbrechen können, und so vertage ich die Revolution einstweilen.

 

 

In Timgad, dem antiken Thamugadi, ca. 40 km östlich von Batna gelegen, befinden sich die Ruinen einer großen römischen Stadt, die jahrhundertelang im Wüstensand begraben lag und deshalb besonders gut erhalten geblieben ist. Sie gehört heute zum Unesco-Weltkulturerbe. In dem Amphitheater findet jedes Jahr ein großes internationales Musikfestival statt.

 

 

Weiter geht es Richtung Biskra, dem „Tor zur Wüste".

Unser Weg führt durch malerische Bergzüge, an Dörfern mit Steinhäusern vorbei, und manchmal müssen wir anhalten, weil eine Schafherde die Straße überquert. Die Berge werden felsiger, dort entspringt der Oued el Biad, der seinen Weg seit Jahrmillionen durch die Felsen nimmt und einen tiefen Canyon, genannt „Rhoufi" gebahnt hat. An den Ufern des Flusses wachsen Dattelpalmen und an die Wände der steilen Felsen sind kleine Häuser wie Schwalbennester geklebt.

Immer wieder bleiben wir stehen, um diese grandiose Naturschönheit zu bewundern. An manchen Stellen geht es einige hundert Meter steil in die Tiefe. Wir finden einen weniger steilen Abhang und wagen den Abstieg in die grüne Oase. Obwohl ich doch an manchen Stellen mit meiner Höhenangst ziemlich zu kämpfen hatte. Der Blick, der sich im Tal bietet ist umwerfend. Frische grüne Dattelpalmen, umgeben von schroffen Felsen und ein Himmel, so blau als wäre er frisch gestrichen!

                                  

Jetzt nur nicht aufwachen, bevor der Traum zu Ende ist, denke ich für einen kurzen Moment beim Anblick dieser atemberaubenden Schönheit. Es ist ein erhebendes Gefühl, als wir erschöpft aber glücklich im Schatten des paradiesischen Palmenhaines unseren Proviant verzehren, und mir wieder einmal klar wird, dass der Weg ins Paradies immer steinig und mühsam ist und nicht auf der Autobahn zu erreichen.

 

 

In Biskra empfängt uns ein Sonnenuntergang, der alles in ein zerbrechliches, zartrosa Licht taucht. Man glaubt kaum, dass es dieselbe Sonne ist, die am nächsten Tag die Stadt auf gnadenlose 47 °C aufheizt und in einen gigantischen Backofen verwandelt!

Interessant ist, dass die dortigen Architekten sich nicht mehr zu gut sind, die traditionelle Bauweise der alten Wüstenstädte kennen zu lernen und umzusetzen, anstatt in eine Stadt mit 40° Durchschnittstemperatur pseudomoderne Glaspaläste wie Monster hinzusetzen. So fügen sich die Neubauviertel harmonisch in die Umgebung ein.

Auf der Fahrt verlor ein Reifen verdächtig schnell Luft, der Übeltäter ist schnell ausgemacht: Ein kleiner Nagel. Die Reifenpanne ist kein großes Problem, der Schlauch wird einfach geflickt. Dauer: keine 15 Minuten, Preis: ein kleines Trinkgeld.

Mir wird bewusst, wie groß der Unterschied ist zwischen unserer heimischen Wegwerfgesellschaft, in der das Kapital den größten Wert darstellt, und Arbeitskraft mehr und mehr nur noch dazu dient, das Kapital zu vermehren, anstatt selbst wertvoll zu sein! Auch die zum Teil große Armut wirkt wie eine Schocktherapie, wenn wir sehen, dass ein Gehbehinderter sich ohne Gehhilfe fortbewegt indem er sich mühsam auf den Händen vorwärts robbt. Man fühlt sich so hilflos angesichts derart menschunwürdiger Zustände! Auch meine große Tochter, die sich gelegentlich über meine Weltverbesserungsambitionen lustig macht, wirkt betroffen!

Aber was ist die Lösung? Immerhin haben wir für unseren Urlaub auch hart gearbeitet – zugegeben, mehr dafür verdient, als ein Algerier! Aber vielleicht hilft unser Konsum der dortigen Wirtschaft, die dies dringend nötig hat.

Die von Biskra aus geplante Wüstentour fällt leider ins Wasser (oder in den Sand?) da uns eine Magen-Darm-Erkrankung an die Betten (und Toiletten) unseres Ferienhäuschens fesselt. Jedoch die übergroße Hilfsbereitschaft und das Mitgefühl der Menschen hier machen uns die Genesung leicht und den Abschied von Biskra schwer.

Aber bereits jetzt wissen wir: Von Algerien gibt es noch so viel zu sehen, was wir, inscha Allah, die nächsten Ferien nachholen werden, denn das zweitgrößte Land Afrikas ist immer wieder eine Reise wert!